Endlich sind wir in Independencia angekommen! Und jetzt kann ich euch auch von meinen ersten Eindrücken hier aus diesem wundervollen Ort berichten. Wir wurden von allen sehr lieb willkommen geheißen

Unsere Fahrt nach Independencia 

Nach einer langen Autofahrt mitten durch die Anden sind wir dann vor knapp zwei Wochen in Independencia angekommen. Die Fahrt war echt schön, man konnte die Zeit gut damit verbringen einfach mal aus dem Fenster zu schauen, um  die Aussicht zu genießen. Die Berge sind sehr beeindruckend und die Gegend wirkt sehr ruhig und verlassen. Ab und zu kommt man mal an einem kleinen Dorf vorbei oder wir sehen Schulkinder, die auf dem Weg zur nächsten Schule sind. Diese Kinder müssen teilweise einen Schulweg von zwei Stunden zurücklegen, bis sie eine Schule erreichen. Die Straßen sind nicht geteert und manchmal nicht besonders breit. Da ist es dann schon etwas beängstigend, wenn man rechts neben sich einen steilen Abhang sieht. Besonders spannend wird es auch, wenn uns andere Fahrzeuge entgegen kommen. Das kommt aber auf dieser Strecke nicht besonders oft vor, doch für Motorradfahrer ist dieser Weg besonders beliebt. Um Unfälle zu vermeiden hupt unser Fahrer immer, bevor wir eine Kurve nehmen. Manchmal sehen wir auch Schäfer, die mit ihrer Herde unterwegs sind oder Kühe, die zu einer Bergquelle zum Trinken geführt werden. Die höchsten Pässe, die wir überqueren mussten, hatten eine Höhe von ungefähr 4000 Metern.

Bienvenidos al centro social San Bonifacio 

Nach ungefähr sechs Stunden sind wir dann endlich in Independencia angekommen. Schon eine halbe Stunde vor unserer Ankunft konnten wir einen Blick auf unsere zukünftige Heimat werfen. Eingekesselt zwischen Bergen liegt die Stadt. In Independencia muss man einen kleinen, aber sehr steilen Berg hinauffahren, um das Sozialzentrum zu erreichen. Als wir mit dem Auto durch das Tor fuhren, wurden wir auch schon von allen Kindern des Zentrums erwartet. Sie hatten ein wunderschönes Plakat gebastelt und winkten uns mit kleinen Bolivien bzw. Deutschlandfahnen zu. Zur Begrüßung wurden wir von jedem einzeln umarmt. Bei besonderen Anlässen wird hier in Bolivien immer Konfetti verwendet. So auch bei unserer Ankunft. Während die Kinder uns umarmten, verstreute jedes Kind eine Handvoll Konfetti in unser Haar. Danach war alles voller buntem Konfetti. Ich hatte auch noch einen Wollpulli an, in dem sich das Konfetti natürlich besonders gut verfangen hatte. Sogar zwei Tage nach unserer Ankunft habe ich beim Haarekämmen noch kleine Konfettistückchen gefunden. Aber insgesamt wurde bei der Begrüßung sehr viel gelacht und wir wurden sehr herzlich von allen begrüßt. Den Brauch mit dem Konfetti finde ich irgendwie richtig lustig.

 

Dann wurde unser Gepäck von der Ladefläche des Geländewagens gehoben und trotz einer Schutzfolie, war alles voller Staub. Da es längere Zeit nicht geregnet hatte, waren die ungeteerten Straßen ziemlich trocken, was natürlich den Staub nochmal verstärkte. Mit Besen machten wir das ganze Gepäck dann sauber, bevor es dann in unser Zimmer ging. Unser Zimmer ist richtig groß und mittlerweile haben wir schon alles ausgeräumt und eingerichtet. Mit Bildern von zu Hause und den Plakaten, die uns die Schüler gebastelt haben, sieht es schon richtig gemütlich aus.

Das Sozialzentrum

Das Sozialzentrum, in dem wir jetzt leben und arbeiten werden, ist seit etwa drei Jahren unter der Leitung von bolivianischen Schwestern. Aufgebaut wurde das Sozialzentrum 1968 von einer Schwester aus Deutschland, die damals als Entwicklungshelferin nach Independencia gekommen ist und heute noch in Independencnia . Aus Altersgründen hat sie dann die Leitung des Internats vor drei Jahren drei jüngeren bolivianischen Schwestern übergeben. Das Sozialzentrum besteht hauptsächlich aus einem Internat für Jungen und Mädchen, die einen zu langen Schulweg hätten, um regelmäßig nach Independencia in die Schule zu kommen. Das Internat beherbergt ungefähr 70 Mädchen und 25 Jungen. Die Jungen müssen mit 14 das Internat verlassen, die Mädchen können hingegen bis sie 18 sind bleiben und ihr Abitur machen. Die jüngsten Kinder des Zentrums sind zwei Erstklässlerinnen. Neben den Ess-und Schlafsälen für die Kinder, Räume zum Hausaufgaben machen und lernen, gibt es auch zwei Sportplätze, auf denen die Kinder in ihrer Freizeit Fußball, Basketball oder Volleyball spielen. Außerdem hat das Zentrum einen riesigen Garten, der den größten Teil des Gemüse und Obst für das Essen hervorbringt. Insgesamt ist das Zetrum richtig schön. Alles ist so schön grün und ich freue mich schon auf den Frühling, wenn alles anfängt zu blühen. Besonders schön ist auch der Blick auf die Berge.

Dienstags und Freitags wird immer im eigenen Ofen Brot für das Internat gebacken. Hierbei durften meine Mitfreiwillige und ich auch schon helfen. Das Brot ist aber ganz anders als wir es kennen. Man könnte es mit unseren Brötchen vergleichen. Nur viel flacher und etwas süßer. Die schöne runde Form der Brote hinzukriegen ist gar nicht so einfach.

Neben dem Sozialzentrum hat die aus Deustchland stammende Schwester auch zwei Grundschulen, den Kindergarten San Francisco, ein Gymnasium (Das colegio Fe y Alegria) und die Puetra Abierta (Mittagsbetreuung) aufgebaut. Das Colegio, welches auch die Internatskinder besuchen, umfasst ungefähr 1000 Schüler. In diesen Einrichtungen werden wir dann auch bald anfangen zu arbeiten. Doch jetzt müssen wir uns erst mal ein wenig einleben und uns an Spanisch gewöhnen. Wenn wir dann die Angelegenheiten für unser Visum abgeklärt haben, können wir endlich richtig ins Projekt starten und anfangen zu arbeiten. Jetzt leben wir erstmal im Internat und helfen dort mit und lernen den bolivianischen Alltag kennen.

Schon morgen müssen wir wieder mal nach Cochabamba fahren, um die letzten notwendigen Schritte fürs Visum zu erledigen. Dieses Mal werden wir jedoch mit dem Bus fahren.

Unser Leben im Internat

Am Morgen aus dem Bett zu kommen ist nicht wirklich leicht. Vor allem in der Nacht ist es in Independencia sehr kalt und am morgen möchte man einfach nicht das warme Bett verlassen. Tagsüber ist es auch nicht besonders warm. Zurzeit regnet es auch noch sehr viel, was die Kälte noch unerträglicher macht. Aber bald kommt der Frühling!

Nach dem Frühstück müssen die Internatskinder in die Schule. Da wir noch nicht im Kindergarten arbeiten, haben wir den Vormittag meistens frei. Wenn Brotbacktag ist, helfen wir da mit. An einem anderen Vormittag haben wir eine kleine Stadtführung von einer bolivianischen Schwester bekommen. Independencia ist wirklich schön. Es gibt eine moderne Kirche, die aber nicht wirklich zum Rest der Stadt passt. Außerdem haben wir das Krankenhaus und das Kulturzentrum angeschaut. Im Kulturzentrum sind zurzeit auch zwei Freiwillige aus Deutschland.

Die Leute, die hier leben, sind sehr nett und offen. Häufig zeigen sie Interesse und fragen uns wo wir herkommen. Als Europäer sticht man hier doch etwas heraus. Spanisch ist für viele gar nicht die Muttersprache. Hier auf dem Land spricht man eher Quechua. Eine alte Sprache, die auf die Inkas zurückzuführen ist. Doch die meisten verstehen Spanisch sehr gut und können es auch sprechen. Vor allem die Schüler müssen Spanisch sprechen, weil man mit Quechua nicht wirklich weit kommt.

Wenn die Schüler dann so gegen 13 Uhr aus der Schule wieder kommen, gibt es erstmal Mittagessen. Danach haben sie bis um 14:30 Uhr Freizeit und müssen dann ihre Hausaufgaben machen. Mädchen und Jungen haben getrennte hausaufgabensäle. Da können Sophia und ich dann mithelfen. Vor allem bei den Englischhausaufgaben sind wir eine große Hilfe. Doch bis jetzt sind wir wohl er eine Ablenkung als eine Hilfe. Denn sobald wir einen Hausaufgabensaal betreten, ist die ganze Aufmerksamkeit auf uns. Wir werden mit ganz vielen Fragen durchlöchert oder die Schüler versuchen uns Quechua beizubringen. Eine häufige Aufgabe der Kinder ist es, Texte abzuschreiben. Den Sinn dahinter habe ich noch nicht wirklich verstanden. Meiner Meinung nach gäbe es sinnvollere Aufgaben, als nur stur irgendwelche Texte zu kopieren. Am Nachmittag gibt es dann eine kleine Essenspause. Meistens gibt es Brot. Einmal gab es sogar gesalzenes Popcorn- mega lecker. Dann wird mit den Hausaufgaben bis zum Abendessen um 17:30 Uhr weitergemacht. Vor dem Essen wird immer noch gebetet und mittlerweile kann ich auch schon das Ave Maria und das Vater Unser auf Spanisch mitbeten. Nach dem Abendessen geht es dann weiter mit den Hausaufgaben. Bevor es dann um 21:30 Uhr ins Bett geht, ist noch ein bisschen Zeit zum Spielen.

Wenn die Kinder mal Freizeit haben, spielen sie sehr gerne mit uns. Sie lieben unsere mitgebrachten Spiele, vor allem die Jungs fahren voll auf Ligretto ab. Die Spielregeln werden dabei meistens vernachlässigt, doch umso lustiger ist es. Viel Zeit haben wir auch schon auf dem Sportplatz verbracht. Volleyball mit gefrorenen Händen zu spielen ist zwar etwas schmerzhaft, aber wir hatten dennoch viel Spaß. Sport auf knapp 3000 Metern Höhe ist gleich viel anstrengender…

Besonders schön finde ich, dass sogar die Schwestern beim Sport mitmachen.

Am Wochenende müssen die Internatsschüler meistens keine Hausaufgaben machen. Trotzdem warten andere Aufgaben wie Wäschewaschen, Putzen und Aufräumen auf sie. Dennoch haben sie viel Freizeit, die sie dann auch mit uns verbringen. Wäschewaschen muss man hier mit der Hand, da überlegt man lieber zweimal, was wirklich gewaschen werden muss. Der einzige Lästige ist nur, dass die Wäsche ziemlich lange zum Trocknen braucht. Ein älteres Mädchen hat uns sogar schon Häkeln beigebracht. Ein echt cooler Zeitvertreib, auch wenn wir noch lange nicht so gut Häkeln können wie die Schülerinnen hier. Sie können die verschiedensten Techniken und das auch noch voll schnell. Und wir sind schon mit dem einfachen Grundstich überfordert.

Am Sonntag ist in Independencia Markttag und ich war echt überrascht, was man da alles kaufen kann. Sophia und ich haben sogar einen Spiegel für unser Zimmer bekommen, der noch gefehlt hat. Und wir konnten uns schon ein wenig durch das Obst und Gemüse hier vor Ort probieren. Das meiste kennen wir auch: es gibt sehr viele Bananen und Mandarinen. Von den für uns unbekannten Früchten hab ich leider schon wieder die Namen vergessen. Ich kann nur sagen, dass sie echt gut schmecken.

Am Donnerstag, Samstag und Sonntag gehen alle Internatsschüler in die Kirche. Die Lieder sind hier ganz anders, viel melodischer und meditativer. Allgemein wird hier sehr viel gesungen. Am Donnerstag ist die Messe immer auf Quechua, ebenso die ganzen Lieder, die gesungen werden.

Um zur Kirche zu gelangen, müssen wir den Berg runterlaufen auf dem das Sozialzentrum liegt. Da es so viel geregnet hat, war die ganze Straße voller Schlamm und es war sehr rutschig. Da muss man echt aufpassen, dass man nicht ausrutscht.  Das ganze Jahr über tragen die Leute hier eigentlich nur Sandalen, Ballerinas oder Flip-Flops. Auch in der größten Kälte und bei starkem Regen. Es ist mir ein Rätsel, wie man mit diesem Schuhwerk auf dem rutschigen Berg überhaupt laufen kann. Aber die Einheimischen stellen sich dabei sogar noch geschickter an, als wir mit unseren Turnschuhen.

Aniversario de Cochabamba

In der letzten Woche war eines der größten Feste hier in Independencia. Der Gründungstag des Departamentos Cochabamba. Bolivien ist in 9 Departamentos (vergleichbar mit Bundesland) eingeteilt, die nach Städten benannt sind. Und Independencia gehört zum Departamento Cochabama.

Da Bolivien ein alter Militätsstaat ist, durften Märsche an diesem Festtag auf keinen Fall fehlen. Der Festtag wurde am Abend zuvor mit einem Fackelzug eingestimmt. Darauf haben sich verschiedenste Gruppierungen vorbereitet. Auch die Kindergärten und Schulen der Stadt sind mitgelaufen. Im Internat bereiteten sich deshalb auch die ganzen Schüler auf den Festzug vor. Sie waren fleißig am Laternen basteln oder haben mit ihren Instrumenten noch ein bisschen geübt.

Dann haben sich alle nach dem Abendessen auf den Weg ins Stadtzentrum gemacht. Alle haben ihre besten Klamotten angezogen bzw. ihre Schuluniform. Die Mädchen hatten tolle Flechtfrisuren und trugen ihre Polleras. Das sind die traditionellen Röcke, die die Frauen und Mädchen hier auch im Alltag tragen. Der Fackelzug war sehr beeindruckend. Jede Gruppe hat sich etwas anderes einfallen lassen. Begleitet wurde der Festzug von einem Schülerorchester, das hauptsächlich aus Trommeln, Trompeten und Tenorhörnern bestand. Sie haben ganz nach dem Motto „Hauptsache laut“ gespielt. Schön klang das nicht unbedingt.

Am nächsten Morgen war dann nach der Festtagsmesse ein zweiter Marsch, bei dem auch Sophia und ich beim Personal des Sozialzentrums mitlaufen mussten. Das war irgendwie ein bisschen komisch, weil wir ganz vorne standen und uns alle angeschaut haben. Die Schüler hatten ganz viele große Fahnen mit den Farben von Bolivien und Cochabamba, was auch nochmal richtig festlich aussah. Allgemein waren alle mit ganz viel Stolz und Würde dabei, was dem ganzen noch mehr Feierlichkeit verliehen hat. Auf dem Hauptplatz haben dann noch einige Tanzgruppen mit außergewöhnlich schönen Kostümen ihre Tänze aufgeführt.

Im Internat gab es einen Tanzabend zur Feier des Tages. Am Anfang haben wir nur mit den kleinen Mädchen im Kreis getanzt, doch irgendwann haben uns dann zwei ältere Mädchen traditionelle, bolivianische Tänze gezeigt. Das war gar nicht so einfach zu lernen. Die Tänze bestehen aus kleinen Schritten, bei denen man auf den Fußboden stampfen muss. Das konnte dann teilweise auch ziemlich laut werden, wenn alle gleichzeitig losgelegt haben. Uns wurden auch Paartänze gezeigt, die man hier mit einem Taschentuch in der Hand tanzt. Die Paartänze hier sind mit weniger Körperkontakt verbunden, man steht sich eigentlich nur gegenüber und läuft ab und zu auf einander zu. Das ganze wirkt aber sehr elegant, vor allem mit den eingebauten Figuren und Drehungen.

Ich hoffe, dass wir in diesem Jahr noch besser Tanzen lernen, weil das macht echtSpaß. Ich freue mich schon aufs nächste Fest mit viel Tanz und Musik. Ein Glück feiert man in Bolivien so gut wie alles. In ungefähr einer Woche ist auch schon der nächste Festtag: Der Tag der Schüler.

Nächste Woche werden wir wahrscheinlich anfangen im Kindergarten zu arbeiten. Ich freue mich schon voll darauf, die Kinder kennenzulernen und endlich wirklich ins Projekt zu starten.

Ich kann euch also bald schon von unserer eigentlichen Arbeit erzählen!

Also bis bald,

Amelie